Ausprobiert: Leistungsmessung

Watt soll’s! Erfahrungen aus fünf Jahren unterwegs mit Leistungsmessung

Wenn man über Leistungsmessung beim Biken spricht, dann scheinen Weltcuprennen und Profi-Ambitionen nicht weit. Damit ist man bereits dem gängigsten Vorurteil zum Thema zum Opfer gefallen. Leistungsmessung ist erst einmal Messung, sie sagt nichts über den Wert der ermittelten Werte aus. Weder ob diese hoch oder gering sind, gut oder schlecht. Das hängt von vielen Dingen ab. An erster Stelle steht die Motivation: Warum oder wofür will ich wissen, welche Leistungswerte ich auf dem Rad habe? Kurz gefasst: Ohne Ziele gibt es keinen Grund, absolute Werte und relative Entwicklungen zu erfassen. Und nur diese Ziele bestimmen den Bewertungsrahmen der Werte. Die Werte und Ziele anderer Sportler sind deshalb nahezu egal.

Watt willste eigentlich?

Meine Ziele sind einfach zu benennen: Mein Anspruch an die eigenen Bike-Touren steht in einem krassen Missverhältnis zu den Zeitkontingenten fürs Training. Als im Dezember 2008 die Idee der Grenzsteintrophy geboren wurde, war mir umgehend klar, dass diese Tour nicht mit meinem Trainingsverhalten der Vergangenheit zu bestehen ist. Hatte ich in den vergangenen Jahre noch die eine oder andere Trondheim-Oslo-Fahrt oder Brevet-Runde ohne irgendein Training davor absolviert und dabei bisweilen meine Jahreskilometer an einem Wochenende verdoppelt, so stand im Juni 2009 eine Herausforderung auf dem Plan, die alle bisherigen Radabenteuer in den Schatten stellen sollte – und dies auch tat! 1.250 Kilometer und über 16.000 Höhenmeter mit reichlich Schiebepassagen …

Die Formel lautet: Wattmessung schont das Zeitbudget

Etwa zur gleichen Zeit hatte ich auch im beruflichen Umfeld (pressedienst-fahrrad) Kontakt mit dem Thema Leistungsmessung. Von Sport-Import kam ein Zipp-Hinterrad mit PowerTap-Nabe ins Büro: „Probiert das doch einmal aus, Leistungsmessung ist DAS nächste große Ding für Radsportler“, sagte der Marketing-Mann salopp, auffordernd und treffend. Gehießen, getan! Mein Paris-Brest-Paris-Renner hatte von dem Tag an eine kleine gelbe, ellipsenförmige Konsole am Vorbau und wies neben Tempo, Frequenz und Puls auch die Wattleistung an der Nabe aus.

Fürs Mountainbike kam die Kurbel aus einer anderen Ecke meines Rad-Kosmos‘. Mein Bruder Axel (zwei Jahre älter und viel schneller als ich) fährt seit 1993 mit einer SRM-Kurbel und dürfte damit einer der ersten deutschen Kunden ohne Amateur- oder Profi-Lizenz, bzw. wissenschaftlichen Hintergrund sein. Dadurch hatte ich hin und wieder Kontakt mit dem Thema, für mich relevant war es bis zum Start der GST aber nie. Ich folgte damals noch der Losung: „Auch Training soll Spaß machen und zu viele Vorgaben sind der Feind dieser Fahrtenfreiheit“. Sei’s drum, es endete damit, dass ich in die Vorbereitung zur ersten GST mit einer SRM-Kurbel am MTB rollte.

 

Wenn ein Spielzeug ernst macht

Die ersten Ausfahrten waren ein Heidenspaß: Wow, mit 500 Watt über die Kuppe gehämmert! 1.000 Watt beim Ortsschildsprint auf den Asphalt gebracht! Über eine Stunde mit 200+ Watt pedaliert. Fahrspaß, ganz subjektiv und spontan, bekam plötzlich Zahlen … diese wollte ich bei jeder Gelegenheit toppen! Das Spiel mit der eigenen Leistungsfähigkeit, mit den eigenen Grenzen, mit der eigenen Komfortzone ändert sich nicht wirklich. Es erfuhr aber einen objektiven Realitätsabgleich: Was sind meine Werte wert? Wie viel Staat, oder besser Start und vor allem Ziel ist damit zu machen? Einfach nur Radfahren ging von nun an nicht mehr … die Daten waren präsent. Nennen wir es einfach den „Smartphone-Effekt“: Nach einer Spielphase nutzt man das Gerät pragmatisch und dann ist eine Rückkehr zum „guten alten Telefon, das lediglich telefoniert“ undenkbar.

Vom Rückblick zur Vorgabe

Meine beiden meterträchtigsten Räder waren also „verwattet“ und jede Fahrt hinterließ einen Datensatz, der zur Auswertung verführte. Der Weg von der rückwärtigen Auswertung der Daten hin zur planvollen Vorgabe für eine anstehende Fahrt ist kurz und führt über einen Leistungstest. Dieser liefert die exakten Werte, aus denen nach sportmedizinischen Erkenntnissen Trainingsbereiche abgeleitet werden. Das ist viel genauer als Training via Pulsmessung.

Die erste SRM-Einheit hatte eine FSA-Carbon-Basiskurbel. Die Montage ist simpel und folgt der üblichen Vorgehensweise bei Kurbeln ohne Leistungsmessfunktion. Anschließend muss man lediglich einen Magneten am Tretlager befestigen und an der Kurbel ausrichten. Dann montiert man den Halter der Konsole am Lenker und einen Geschwindigkeitsabnehmer samt Magneten am Vorderrad. Jetzt wird es einmal kompliziert: Das Paaren der kabellosen Übertragung will einmalig initiiert und erfolgreich durchlaufen sein. Schon funken Kurbel, Speedometer und Pulsgurt ihre Daten zum Lenker. Die neuste Generation des Computers („PC7“) arbeitet quasi vollautomatisch, bisweilen sollte man „setten“, damit sich das Messverhalten der Kurbel an die Außenverhältnisse akklimatisiert (Temperatur, Luftdruck, Höhe haben Einfluss) und die Messgenauigkeit sichergestellt ist. Bei der PowerTap-Nabe ist die Sache noch einfacher: Hinterrad mit Reifen und Ritzel komplettieren und Konsole an den Vorbau, einmal paaren und los geht es!

Beide Systeme liefen parallel. Ein direkter Vergleich drängt sich auf, ist aber kritisch. Sicher ist es statthaft, die beiden grundsätzlich unterschiedlichen Systemideen zu vergleichen: Messung an der Kurbel versus Nabe. Die konkreten Geräte zu vergleichen, ist aber schwer möglich, da ich insgesamt vier verschiedene SRM Kurbeln, einige Software-Versionen und diverse Rad-Setups gefahren bin und von PowerTap eine sehr frühe Generation hatte, die mit dem heutigen Stand nicht mehr viel zu tun hat. So ist zum Beispiel mein Hauptkritikpunkt (geringe Laufzeit der Einweg-Batterien im gelben Ei) nicht mehr aktuell: Mit der „Joule“ genannten Konsole haben u. a. Lithium-Ionen Akkus Einzug gehalten.

 

Vorteile Kurbel:

  • sehr kompakt
  • sehr leicht
  • harmoniert optisch/technisch sehr gut
  • freie Laufradwahl und Wechsel (z. B. Wettkampflaufräder)
  • misst näher am „Erzeuger“

 

Vorteile Nabe:

  • unkompliziert in Montage
  • geringere Kompatibilitätsfinessen
  • einfach in mehreren kompatiblen Rädern zu verwenden (z. B. Trainings- und Wettkampfrad)
  • günstig

 

Nachteile Kurbel:

  • hohe Kompatibilitätsfinessen (Schaltungen, Tretlager-Typen usw.)
  • eigentlich nur an einem Rad verwendbar

 

Nachteil Nabe:

  • misst weit hinten in der Kraftübertragung

 

Die sieben Anfahrten auf Lluc

Wie präzise sich damit trainieren lässt und dass dies zudem Spaß macht, erlebte ich während einer Rennradwoche auf Mallorca. Mein Renner hatte im Winter ein Update auf Scheibenbremsen erhalten und die PowerTap-Nabe musste einer alten SRM-Kurbel aus dem Fundus meines Bruders weichen, denn eine entsprechende Crosser-/MTB-Ausführung war gegenwärtig nicht lieferbar.

So fuhr ich mit klaren Intervallvorgaben zusammen mit meiner „Radreisegruppe“ Richtung Kloster Lluc. Am Anstieg des Passes fuhr jeder seinen Stiefel. Ich spulte acht Minuten mit 300 Watt ab, hängte noch fünf Minuten Grundlagenausdauer in Stufe eins (ja, so heißt das wirklich; „GA1“ im AKüFi) dran, um dann umzudrehen und wieder zum Beginn des Anstiegs herunter zu donnern. Anschließend wiederholte ich dies noch sechsmal mit kleinen Variationen. Drei famose Erkenntnisse kamen mir dabei. Erstens war ich so locker bergauf unterwegs, wie nie zuvor in meinem Leben, das „Fahren nach Zahlen“ entfaltet also Wirkung. Zweitens war ich auch beim siebten Interval am Hang noch nicht „fertig“, sondern erreichte nach acht Minuten exakt die gleiche Stelle im Anstieg wie bei den vorangegangenen Fahrten. Ich glaube nicht, dass ich rein nach Körpergefühl gefahren so kontinuierlich unterwegs gewesen wäre. Und drittens hatte ich am Hang richtig Spaß: Bei gutem Tempo unterwegs zu sein, dabei zu sehen, wie Heißsporne sich im Anstieg abfackeln und man selbst die Form aufbaut, anstatt sie zu verheizen, das sorgt für ein Wohlgefühl.

Die Technik für die Tour Divide

Aus diesem Grunde habe ich mich auch entschieden, nicht nur die komplette Vorbereitung für meiner Tour Divide via SRM zu steuern, sondern auch auf der TD mit SRM zu fahren. Die Kurbel wiegt gerade einmal 70 Gramm mehr als die analoge XX1-Kurbel und liefert Daten, die das eigene Ego einbremsen und Orientierung bieten. Zudem sollte man ohnehin einen Fahrradcomputer als Sicherheit zusammen mit der Wegbeschreibung dabei haben, falls das GPS ausfällt.

Zeit für ein Fazit

Insgesamt bin ich dreimal bei der GST mit SRM am Start gewesen und habe sicher zwei Dutzend Overnighter unter Leistungsmessung bestritten. Das SRM-System selbst hatte keinen Ausfall. Selbst bei den unglaublich vermatschten Nachtfahrten im Winter 2011/12, bei Temperaturen jenseits der 40 Grad im staubigen Unterholz der kroatischen Küste oder auch während frostiger Biwaks mit stundenlanger Fahrt bei unter -10 °C hatte das SRM stets alle Daten parat und gespeichert. Das System ist super solide, stabil, zuverlässig und setzte sich in der Vergangenheit fast gewohnheitsmäßig bei Vergleichstest gegen die Konkurrenz durch. Das hat seinen Preis! Und das ist sicher der wunde Punkt. Ein SRM-System kostet je nach Version und Ausstattung ab 2.000 Euro, in der Regel eher 3.000 bis 3.500 Euro. Dass man dafür auch ein komplettes neues Rad bekommt, mag sein, aber dieses macht nicht unbedingt schneller. Leistungsmessung schon!

 

 

Lobbymeter

Einzig private Kontakte und berufliche Zusammenhänge machten es möglich, das Testmaterial zu erhalten und über einen solch langen Zeitraum nutzen zu können. Unter normalen „Blogger-Umständen“ wäre dies wohl kaum möglich gewesen. Mein Dank geht an dieser Stelle nochmals an SportImport und SRM. Das Material erhielt ich ohne Vorgaben über/zur Berichterstattung.

1 Comment

  1. walter Donnerstag, der 2. Mai 2013 at 20:42

    Oh Mann, so einen langen Blog und das am Feierabend ;-)
    Nee, Gunnar, ehrlich: sehr informativer und relistisch geschriebener Bericht! DANKE :-)

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