Tag 202/ 353 Workpackingtour 2023:
Der gestrige Abend war lang und laut, was auch an den Nachbarn mit großer Blau-Zahn-Box und Bengalos lag … und ein wenig auch am Bier. However, der Tag startet ganz langsam und leise. Bolero-Dramaturgie liegt in der Luft. Mein erster Tour-de-Fance-Tag ohne Verzerrung durch die Mattscheibe. Alles, was ich sehe, höre, rieche und fühle ich auch. Alles ist in langsamer steter Evolution. Immer mehr Radfahrer kommen hinaufgefahren. Der Raum am Wegesrand wird sukzessive enger. Bier, Grill und Böllergeruch ziehen das Tal hinauf. Je nach Windrichtung dröhnen unterschiedliche Musiken anderer Fangruppen ins Ohr.
Kaum merklich nehmen Intensität und Tempo stetig zu. Der Pegel der meisten Fans auch. Es wird immer energetischer. Als der klapprig aufgestellte Fernseher am Nachbar-Wohnmobil den Start der Etappe überträgt, schwappt ein erster frenetischer Jubel über die kleine Lichtung mit zwei Parkbuchten, die wir uns mit rund ein Dutzend Autos und einigen hundert Fans teilen. In großer Entfernung ist dumpf ein erster Helikopter zu hören. Tour-Fan-Profis bedeuten mir, dass dies der ultimative Vorbote des großen Spektakels sei. „Jetzt geht´s los!“, skandieren meine Kumpels.
Die Vibs erreichen das nächste Level. Erste Polizei-Motorräder schlängeln sich durch die Menge Richtung Gipfel und korrigieren die Position manches Womos und mancher Sitzgruppe. Ein zweiter Heli schrappt durchs Tal und das Motorbrummen wird lauter: Die Werbekarawane gaukelt sich durch die Massen: Show-Einlagen und Merch-Wurf-Salven im Wechselspiel mit steter Fortbewegung.
Die Qualität des Wurfgutes soll sich – Nachhaltigkeit und Umweltschutz im Sinn – über die Jahre verbessert haben. Genauso schwer zu glauben ist, dass in diesem engen Szenario so wenig Unfälle passieren. Nach dem Konsumwurm ist ein kurzer Moment Ruhe, ein kollektives Luftschnappen.
Dann rollen die ersten Teamfahrzeuge an, sie suchen sich teils sachte, teils ruppig Parkplätze. Versorgungs-Relais-Stationen und Rennbeobachtung aus erster Hand, so scheint es mir. Fans der Teams bejubeln sie. Ganz ähnlich den Fußball-Fans. Einzig, die Schmähgesänge der „Gegner“ fehlen. Wie wohltuend. Jetzt ist bereits ein zweiter Heli in größerer Entfernung zu hören. Eine erste Jubelschrei-Welle tief aus dem Tal ist zu hören. Tete de la Course hat die Einfahrt in den Anstieg bei Sondernach passiert. Alle und alles nimmt Fahrt auf. Aus den Autos, Zelten und Wald strömen immer mehr Radsportfans an den Straßenrand. Die Musik wird lauter. Die Gesänge werden lauter. Der Motorenschall wird lauter. Die Helis werden lauter. Wie ein Korken, der aus der Champagner-Flasche knallt, schießt eine Motorrad-Eskorte in die Zuschauermenge auf dem schmalen Asphaltstreifen. Kurz schnellt die Masse auseinander.
Bevor sich der Masse wieder zusammenschließen kann, huscht auch schon der erste Fahrer, den Hügel hinauf. Nun ist der Beat auf Maximalspeed. In Sekundentakt schnellen Fahrer, Begleitautos und Media-Motorrädern gen Passhöhe himmelwärts.
Eine Viertelstunde feuert die größte aller Radrundfahrten mit allem, was sie hat aus allen Rohren. Glückseligkeit der Fans am Rand und maximales Leiden in der Mitte der Straße. Mit dem Durchfahren des Gruppettos – deutlich weniger dynamisch, aber immer noch unglaublich schnell – ist der Spuk auch schon vorbei. Während sich der Aktiven-Tross über den Col du Platzerwasel schiebt, bocken die meisten Fans ihre Lager ab und wabern zurück ins Tal. Kaum drei Stunden später sind wir mit einem WoMo die einzigen Verbliebenen. Es kehrt Ruhe ein. Längst ist kein Heli mehr am Himmel.