Man kann mit Fug und Recht sagen, dass die Brevet-Szene über zehn Jahre meine Velo-Heimat war. Ab 1995 bis 2007 bin ich eine Vielzahl von Brevets im In- und Ausland gefahren. So habe ich dem Brevet-Film mit viel Spannung entgegen gefiebert. Die Premiere findet am kommende WE in Hamburg statt. Ich hatte die Gelegenheit, den Film bereits zu sehen, und kann sagen: Es gibt reichlich Grund, sich auf den Film zu freuen. Wer die Szene kennt, wird viel(e/s) wieder erkennen. Für wen Paris-Brest-Paris und die Randonneur-Szene neu ist, dem gewährt der Film einen gleichsam informativen, wie unterhaltsamen und facettenreichen Einblick. Der Film hat das Zeug, ähnlich wie “Ride the Divide” von Mike Dion ein Magnet für Interessierte und Neulinge rund ums Selfsupportracing/Bikepacking wurde, zum “Hub” fürs Brevet-Thema zu werden.
Auch beim Storyboard haben die beiden Filme Parallelen: Es werden Routiniers, Rookies und Ambitionierte bei ihrer Vorbereitung und bei der Fahrt selbst begleitet. Es wechseln sich Sachpassagen mit Aktionsequenzen in lässige Folge ab. Einen klaren Minuspunkt erhält jedoch der Soundtrack. Die Musik ist gut und funktioniert, aber bei einem Film vom ältesten noch ausgetragenen Radrennen der Welt durch Frankreich, hätten französische Sprache und Klänge einfach besser gepasst. Doch keine Sorge, das schmälert den Genuss kaum. Ich bin als PBP-Finisher, Radfreak und Sportsfreund knapp 80 Minuten bestens unterhalten worden. Köstlich, wenn der Rookie sich über das Geballer zum Auftakt bei der Ausfahrt aus Paris (also auf den ersten 150 Kilometern) wundert. Oder, wenn der Routinier nach einer schlafknappen Nacht sein Rad in der Verpflegungsstation nicht mehr finden kann. Dass auf den Langdistanzen Zeit und Raum verschwimmen, ist bekannt und wird bei Filmminute 72 schlagartig klar, Zitat Claus Czycholl: “Heute müsste ungefähr Donnerstag sein”. Und dann war da noch der Brite, der sich darüber aufregt, dass ihm niemand im Vorfeld sagte, wie hügelig die Strecke ist: “Ich dachte, Frankreich sei flach!” Herrlich! Es sind diese punktierten Überraschungsmomente, die dem Film auch für Insider von einer dramaturgischen und inhaltlichen Planbereit befreien. Das tut ihm gut und wird auch dem Inhalt gerecht. Jeder Brevet-Fahrer weiß, dass keine Langdistanzfahrt ohne Überraschungen zu Ende geht. Oder wie es Tour-Divide-Ikone Jay Petervary einmal sagte: “Be prepared for the unprepared”! Ganze Arbeit, die TV-Journalist und Filmemacher Michael Reis-Müller geleistet hat.
Man sollte Menschen niemals unterschätzen oder vorschnell in eine Schublade stecken: Die Dame im besten Alter ist freiwillige Helferin in einer Verpflegungsstation und schaufelt Salat in Schalen für die hungrigen Fahrer. Auf die Frage nach ihrer Motivation antwortet die lapidar: “Ich bin sechs Mal mitgefahren, jetzt helfe ich auch einmal” Bis dahin ist es für die meisten Radfahrer noch ein weiter Weg. Viele wird ihr Weg über diesen Film führen. Anschauen!
Der Film kann ab 16.01.16 gestreamt werden und ist als DVD auf Amazon erhältlich.
Hier der Trailer:
Brevet – Offizieller Trailer – Deutsch from CURLYPICTURES on Vimeo.
Hier der Ride the Divide-Trailer:
Ride the Divide from Mike Dion on Vimeo.
Schöner Artikel, der mir meine Entscheidung zwischen Streamen oder Kaufen schon abgenommen hat: Diese DvD will ich haben :)
Gruß
DerMario
Ich kann dieser wirklich treffenden Rezension nur zustimmen.
Habe den Film per DVD ebenfalls schon gesehen und bin begeistert, wie gut das Lebensgefühl beim Brevetfahren und speziell PBP rüber kommen.
Sehenswert…
PS: auch wg. der Musik hast Du Recht. Angesichts der vielen gastfreundlichen Franzosen an der Strecke, die massgeblichen Anteil am Charakter von PBP haben, wäre der eine oder andere französische Chanson angebracht gewesen. Wobei Digger Barnes auch hörenswert ist.
Und wenn man Claus so sieht und hört – that’s PBP :-)